Troubadoure und Tempelritter
Gabriele Quinque
Will man den Weg Parzivals verstehen, auf den er sich begibt, nachdem er die irdische Einöde des mutterhaften Weltbildes zurücklässt, bedarf es zunächst einer Betrachtung des Hintergrundes, vor dem sich die gesamte Legende abspielt. Freilich, ganz so leicht kann dies nicht werden, denn die Bühne Parzivals wird von dem vielschichtigen Gewebe der Mystik erzeugt; es bleibt hermetisch versiegelt, tief, unergründlich für den, der allein auf die fünf Sinne vertraut und den sechsten für unbrauchbare Phantasterei hält.
Der gefangene Seelenvogel
Die Minnesänger malten das klassische Bild ritterlicher Liebe in einer Weise in die Kollektivseele des Abendlandes, dass es in jedem Menschen abrufbar blieb: Im Inneren der Festung wohnt die schöne Burgherrin, eingesperrt, ein wenig gelangweilt, aus einem eingeschränkten Gesichtskreis sehnsüchtig am Fenster nach draußen schauend, wie ein Vogel aus dem Käfig. Und vor dem Fenster, frei unten im Hof stolzierend, trällert der Minnesänger seine mantrahaften Weisen. Seine Lieder erzählen von einer Liebe, die mehr ist als Pflicht, mehr als In-Sicherheit-Sein, mehr als Gewohnheit … und die Schöne lauscht und lauscht, mit einem Herzen, das aus der Brust springen möchte. Ist dies etwa kein hübsches Bild für die eingesperrte Seele im Körper? Oder für den gelangweilten Menschen in einer verweltlichten Kirche? Oh doch, diese Metapher kennt jeder so gut, weil sie den Ruf der Seele nach Erlösung aus der Gefangenschaft in Zeit und Raum beinhaltet.Als die Luft mit Sonnenfeuer
temperiert und gemischt wurde,
gab das Wasser seinen Anteil dazu,
so wurde der Leib der Erde erfrischt.
Durch ein heimliches Umfangen
wurde sie mit Früchten der Freude schwanger.
Dies bewirkte die Luft – ungelogen.
Schaut selber auf den Anger hinaus,
Freude und Freiheit, dazu ist die Welt gemacht.
(Burkhart von Hohenfels)
Der Sänger ruft hier die Vier Elemente der Eingeweihten wieder auf den Plan und macht deutlich, wie wichtig es ist, alle vier Qualitäten in das Gleichgewicht zu bringen, um die Enge des Bewusstseins zu überwinden und eine geistige Freiheit zu erlangen. Das folgende Gleichnis vom Falken fordert, die innige Berührung mit der Religion sollte einen freien Menschen hervorbringen, der sich zu erheben weiß. Dieser Vers kündet von einer individuellen Reifung, einer geistigen Bereicherung der menschliche Seele und räumt mit einem Irrtum auf: Religion und Dogmatik sind nicht das Ziel, sie sind der Weg zum Ziel.
So gaben die Sänger ihr Bestes und verbargen die gewaltige Lehre der Tempelritter in den zarten Gesängen, und so manche Seele bestieg liebend gern das Pferd einer höheren Erkenntnis.